Die neunte Klasse ist allein im Raum. Markus und Oliver balgen miteinander. Es wird etwas heftig; es ist nicht mehr so richtig Spaß. Sie halten sich fest, starke Jungs, inzwischen eins siebzig groß. Die Klasse lacht. Irgendwie landet Markus’ Hand knapp unterhalb von Olivers rechtem Auge. Es schwillt recht schnell zu. Außerdem hat er eine leichte Hautabschürfung. Einige Schülerinnen sagen: „Oha.“
Die Lehrerin kommt und ist entsetzt, als ihr Oliver so entgegentritt. Sie lässt sich den Vorfall von ihm erklären. Eine Disziplinarkonferenz wird anberaumt. Die Eltern beider Jungen werden informiert. Markus soll einen schriftlichen Verweis bekommen und erhält die Auflage, an einem Anti-Gewalt-Training teilzunehmen. Seine Eltern sind fassungslos. Ihr Sohn hat noch nie etwas angestellt und gilt als ruhig und freundlich. Sie intervenieren beim Elternvertreter der Klasse. Da Markus wegen Leistungsproblemen die Schule wechseln möchte, wäre ein schriftlicher Verweis in seiner Akte für ihn gerade jetzt sehr nachteilig.
Einer Aufforderung, bei der Schulleitung vorstellig zu werden, kommen die Eltern nicht nach. Stattdessen kündigen sie einen Widerspruch gegen den Konferenzbeschluss an. Der Elternvertreter versuchen mit der Klassenlehrerin Kontakt aufzunehmen. Diese hat jedoch von der Schulleiterin die Anweisung erhalten, in der Sache nicht mehr Stellung zu nehmen, weil die Eltern offenbar den Rechtsweg beschreiten wollten. In den Tagen danach wird Markus wiederholt gedrängt, der Disziplinarmaßnahme zuzustimmen, da „es sonst noch schlimmer kommen“ werde. Er müsse kooperieren. Andernfalls würde eine weitere Konferenz stattfinden. Er könne auch sofort von der Schule verwiesen werden.
Nun setzt die Familie alle Hebel in Bewegung. Nach Feierabend werden im Internet Bundesverwaltungsgerichts-Urteile gelesen, und ein Beamter der Schulbehörde, der Vater einer Schülerin der Klasse ist, wird um Rat gebeten. Die beiden Jungen haben sich derweil auf Facebook miteinander versöhnt. Der Beamte ruft die Klassenlehrerin an und fragt, ob es nicht besser gewesen wäre, sich mit den beiden Jungen nach dem Vorfall erst einmal zusammenzusetzen. Und ob die Maßnahme angesichts der Tatsache, dass Markus noch nie aufgefallen sei und hier offenbar keine geplante Aggression vorliege, nicht doch etwas überzogen sei. Die Klassenlehrerin ist sich nicht sicher, ob sie überhaupt antworten darf, weist auf ihre Verschwiegenheitspflicht hin und bleibt im Allgemeinen.
Im weiteren Verlauf entwickelt sich zwischen den Ratsuchenden und ihren Beratern ein Email-Dialog, in dem versucht wird, die Klassenlehrerin miteinzubeziehen. Nach Vorliegen der Abmeldung des Schülers von der Schule verzichtet die Schule auf einen schriftlichen Verweis, noch bevor die Vorsitzende des Widerspruchsausschusses der Schulbehörde Gelegenheit zu einer Entscheidung hat.
Auf dem Elternabend im neuen Schuljahr erklärt die Klassenlehrerin, dass sie zukünftig keine Emails an ihre Privatadresse mehr haben möchte. Sie werde auch keine mehr beantworten. Wer mit ihr in Kontakt treten möchte, könne sie anrufen.