Wie in allen Ballungszentren Westeuropas lässt sich auch in Hamburg beobachten, dass der Islamismus seinen Einfluss auf Jugendliche vergrößert. Unter Islamismus ist eine radikale, demokratiefeindliche Ideologie zu verstehen, die im Namen des Islam auftritt und die Menschenrechte nicht anerkennt. Seine radikalste Form ist der Dschihadismus. Seine Anhänger rufen zum bewaffneten Kampf auf, und wo sie, wie im Nordirak und in Syrien, zur Macht gelangen, töten sie wahllos nicht nur alle Andersdenkenden, sondern auch Angehörige anderer Religionen.
Über das Internet, aber auch durch verbotene Organisationen wie die Hizb ut-Tahrir werden junge Menschen angesprochen und angeworben. Das geschieht meistens auf privaten Treffen oder sog. „Koran-Lesezirkeln“, wo es scheinbar um Religion geht, in Wirklichkeit jedoch um politische Radikalisierung. So nimmt die Zahl von Jugendlichen und Jungerwachsenen, die in den Nahen Osten ausreisen, um dort die Terrorgruppen von IS und al-Qaida zu unterstützen, zu. Nicht wenige von ihnen kommen dabei um. Andere werden gezwungen, solch schreckliche Verbrechen zu begehen, dass sie schwer traumatisiert zurückkommen.
In Schule und Jugendzentrum ist jedoch auch niedrigschwellig eine religiöse Radikalisierung zu beobachten. Die Weltlage lässt nicht einmal die Kita unberührt. Überall und immer häufiger kommt es zu Fällen konfrontativer Religionsbekundung. Schülerinnen und Schüler führen ihre Religion ins Feld, um sich von anderen abzugrenzen oder die Regeln des Zusammenlebens in Frage zu stellen. Das reicht von der Verweigerung gegenüber bestimmten Fächern und Unterrichtsinhalten und der Forderung nach Gebetszeiten während des Unterrichts bis hin zum religiösen Mobbing gegen Mitschüler, die sich strengen, fundamentalistischen Praktiken nicht unterwerfen wollen. Klassenreisen werden boykottiert. Gegen den Sport- und den Schwimmunterricht werden religiöse Vorbehalte erhoben; Achtklässlerinnen erscheinen in langen Gewändern, die sie daran hindern, sich am Ballspielen und Geräteturnen zu beteiligen. In den allermeisten Fällen steckt hinter diesen Verhaltensweisen ein salafistisches Islamverständnis. Unter Salafismus ist dabei die Auffassung zu verstehen, dass die Muslime zu den Lebensformen der Vorfahren (salaf) aus Muhammeds Zeit zurückkehren müssen und dass der Koran im Wortlaut zu befolgen ist. Dass dasselbe Koranzitat unterschiedlich interpretiert und gelebt werden kann, bestreitet der Salafist. Insofern ist er ein Anhänger einer geistigen und geistlichen Despotie.
Ähnlich wie radikale Anhänger anderer Religionen stellen salafistische Eltern an der Grundschule Selbstverständlichkeiten des schulischen Miteinanders in Frage. Sie verbieten ihren Kindern das Mitsingen und Mittanzen oder das Feiern von Geburtstagen. Kinder solcher Eltern werden im Extremfall einer Zerreißprobe zwischen dem religiösen Dogma und der Schulregel ausgeliefert, die einer gesunden und unbeschwerten Entwicklung abträglich sein kann.
Mit ihrer kämpferischen Verweigerung gegenüber den Lebensformen und Regeln einer freiheitlichen, pluralen Gesellschaft stehen die Salafisten im Widerspruch zu den meisten Moscheegemeinden und ihren Imamen. In nicht wenigen Moscheen haben sie Hausverbot. Die muslimischen Verbände machen sich Sorgen um den radikalisierten Nachwuchs, und sie wissen, dass das Bild des Islam in der bundesdeutschen Öffentlichkeit leidet, je mehr er von einer freiheits- und emanzipationsfeindlichen Strömung missbraucht wird. Nicht wenige muslimische Eltern und Großeltern fürchten, ihre Kinder oder Enkel durch eine Ausreise in den Jihad zu verlieren.
Die Schulen und Jugendzentren der demokratischen Republik sind durch diesen Trend mächtig herausgefordert. Gleichgültig, ob im Einzelfall die Jugendlichen bereits ideologisch verblendet sind oder ob es nur um eine rebellische Phase der Identitätsfindung geht – eine pädagogische Auseinandersetzung mit Fingerspitzengefühl und Empathie, aber auch mit demokratischer Überzeugungskraft ist notwendig. Besonders in Schulen mit einer multikulturellen Schülerschaft sind der innere Frieden und das gute Miteinanderauskommen nur zu bewahren, wenn allen Ansätzen von Menschenrechts- und Demokratiefeindlichkeit von Anfang an begegnet wird. Dazu gehört Zivilcourage gegenüber Schülern, die ihre Mitschüler indoktrinieren oder in sektenartige Gruppen schleusen wollen. Zur pädagogischen Professionalität gehört auch, ideologische Muster zu erkennen, die Inanspruchnahme von Religionen für politische Zwecke zu durchschauen und zugleich mit den gefährdeten Jugendlichen in einem intensiven Dialog zu bleiben. Auch „politisch“ wirkende Konfliktlagen haben eine entwicklungspsychologische und interkulturelle Dimension. Lehrkräfte, die sich in solch einer Situation falsch verhalten, wegschauen oder überreagieren, können die Radikalisierung ungewollt vorantreiben.
Daher steht auch die Lehrerbildung vor ganz neuen Aufgaben. Elementares Ziel ist die Grundrechtsklarheit in religiös gefärbten Konfliktlagen. Lehrkräfte müssen fit sein in der Auseinandersetzung mit Positionen, die z.B. zwischen Religionen, aber auch zwischen Mann und Frau eine Ungleichwertigkeit behaupten. Sie brauchen aber auch das nötige politische und historische Wissen, um im Unterricht islamistischer Agitation zu begegnen. Die Fortbildungs- und Beratungsangebote des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung zielen zunächst auf eine Basisinformation inklusive Lagebericht auf neuestem Erkenntnisstand. Dabei geht es um die Früherkennung von Radikalisierungsprozessen genauso wie um den souveränen und unaufgeregten Umgang mit offensiver Religiosität. Reale Konfliktfälle und Biographien werden für die vertiefte, praxisnahe Bearbeitung zur Diskussion gestellt. Schulleitungen und Funktionsträger werden im Sinne einer demokratiepädagogischen Schulentwicklung beraten. Hier wird auch über den Schulzaun geschaut; denn gerade im Schulumfeld und Freizeitbereich spielt sich die islamistische Einflussnahme und Anwerbung ab.